Eine Begegnung
Wie so oft während den letzten drei Monaten spaziere ich durch die Walser-Skulptur*, um auf der Tafel das Tagesprogramm zu studieren… «Hallo, darfst du einfach so Walser Texte übersprayen?» Der schmächtige junge Mann pflanzt sich vor mir auf und sagt: «Die weiss me jetzt afe uswändig, die stöh jo jetz scho zwöi Monet do, jetzt muess Kunscht häre, schliesslich söll das jo e Kunschtskulptur sii, oder? Wenn dä Hirschgweih…äh Hirschhorn e Künschtler isch, de bin i ou eine. Er brätteret und i spraye, zäme si mer es flotts Team, beidi zudäm randständig, är aber no meh als i, randständiger cha me gar nid sii, wenn d‘ weisch, was i meine. Weisch, i bi im Momänt e chli flattrig, nid ganz ufem Bode, i bi uf Entzug, trinke im Tag nume no 5 statt 10 Dose Bier, s’Blöde dra isch, das i jetzt immer Hunger ha, immer dä Food beschaffe und tüür chunts ou…u de no die Zigarette, die chöme ou no dra… Ds Blöde isch, dass i niemerem cha d’Schuld gä, i bi säuber inegschlidderet i die Misere, rächti Chindheit, gueti Lehrstell… alles piccobello ». Er kommt ins Sinnieren. «Es isch, wies isch. Jetz muess i halt Gas gä, no 1 Monat Zyt han i, um alles uf d’Reihe z’bringe, sozäge die letschti Chance.» Er grinst mich an. «Merci fürs Gschpräch.» Gespräch? Ich wende mich zum Gehen. «He du», ruft er mir nach, «du bisch übrigens voll i dr Ornig. Tschüss.»
Madeleine F., 79 Jahre alt
*Anmerkung der Redaktion: Begehbare Skulptur, die von Juni bis September 2019 auf dem Bahnhofplatz in Biel stand. Geschaffen hat diese der Schweizer Künstler Thomas Hirschhorn zu Ehren von Robert Walser.