Die Oma mit der Taucheruhr

Die Oma mit der Taucheruhr

Vor dem Rückflug aus meinem Tauchurlaub in Ägypten wartete ich am Laufband der Gepäckkontrolle…Eine Familie aus Ostdeutschland stand hinter mir, der Umgang der Familienmitglieder untereinander war äusserst schroff und abwertend. Und sie meckerten unentwegt über die belanglosesten Dinge. Die Oma (eine ältere Frau mit weissem Haar) ging mir besonders auf die Nerven, in barschem Tonfall wies sie ihre zwei Enkel an: «Jetzt zieht endlich eure Stinkeschuhe aus, damit ihr mit euren Schweissfüssen durch die Personen-Kontrolle gehen könnt. Macht ausnahmsweise mal das, was man euch sagt. Und hört auf rumzualbern». Ich wendete mich naserümpfend und mit grosser Verachtung ab und legte mein Handgepäck in die dafür vorgesehenen Kisten, auch meine Taucheruhr, die ich am Handgelenk trug. Dann spazierte ich durch den Personen-Scanner. Auf der anderen Seite angelangt, nahm ich mein Gepäck wieder in Empfang. Hinter mir vernahm ich das ununterbrochene und schrille Gemecker der ostdeutschen Oma. So rasch ich konnte suchte ich das Weite. Ich konnte das nicht mehr aushalten.

Kurze Zeit später, ich stand vor einem Getränkestand, kam die Oma auf mich zugelaufen und hielt meine total vergessene und liegengebliebene Taucheruhr in der Hand. Ich war gleichzeitig völlig perplex, geschockt und freudig überrascht, dass ich die ältere Frau mit einer Herzlichkeit umarmte und ihr so überschwenglich dankte, dass sie nicht recht wusste, wie ihr geschah. Ich hatte nicht bemerkt, dass ich meine Uhr liegen gelassen hatte und war dennoch unendlich froh, sie wieder zu haben. Verdattert liess die Oma meine Umarmung zu und lächelte mich an, als ich ihr erklärte, dass diese Uhr teuer war und sehr wertvoll für mich ist. Meine Freunde hatten extra Geld zusammengelegt, um sie mir zum Geburtstag schenken zu können. Wir zogen dann beide unseres Weges.

Noch am selben Tag erzählte ich meiner Freundin, die ebenfalls aus dem Osten Deutschlands stammt, die Geschichte. «Ja ja», sagte sie, «wir Ostdeutschen pflegen einen etwas rauen Umgang miteinander, aber wir haben ein gutes Herz». Dies war eine wertvolle Begegnung und eine tiefgreifende Lektion für mich. Und noch immer sehe ich das erstaunte Lächeln der Oma vor mir. Wer weiss, ob sie jemals von einer fremden Person so überschwenglich umarmt worden war.

Nicole Looser