Die böse Frau Stupanik
In unserer Strasse wohnte eine alte Frau, die wir nur die böse Frau Stupanik nannten. Sie hatte einen krummen Rücken, ein paar Bartstoppeln, Warzen, da waren wir ganz sicher, viel sperriges weisses Haar… Früher hatte sie einen Kater, Beppi, dem sie stundenlang rief, Beppi, Beppiii, aber der war schon lange tot. Oder entlaufen, wir vermuteten das Letztere, wer wollte schon freiwillig bei dieser Frau bleiben.
Im Sommer spielten wir Ball, mitten auf der Strasse, genau vor ihrem Haus, obwohl wir wussten, dass sie das hasste. Dass sie sich störte am harten Ton des Aufschlags, oder was auch immer, es war uns auch egal. Sie beobachtete uns hinter dem Vorhang versteckt, diese Blicke gaben uns Auftrieb. Wir spielten uns schräge Bälle zu, zielten tief, jagten den Ball dicht am Gartentor vorbei, rannten lachend davon, wenn er ans Gitter knallte.
Und dann geschah es. Der Ball flog in hohem Bogen über das Gartentor, schlug krachend am Fenster der bösen Frau Stupanik auf, und blieb unter ihrem Schlafzimmerfenster liegen. Hinter dem Hortensienbusch. Die Wahl fiel auf mich. Mit klopfendem Herz stiess ich das Gartentörchen auf, Bea, Karli und die anderen hatten sich versteckt. Ich war neun oder zehn. Vorsichtig ging ich ein paar Schritte tiefer in den Garten hinein, der Kies knirschte unter meinen Füssen. Ich wollte schon die Hand ausstrecken. Der Ball. Da ging das Fenster über mir auf. Du, du da, komm her, ich hatte Frau Stupanik noch nie reden hören. Komm! Ich blieb stehen, wie erstarrt. Sie stand im offenen Fenster. Wartete. Auf mich. Schau. Sie trat vom Fenster weg, und als sie zurückkam, lag eine Tafel Schokolade in ihrer Hand. Dann lächelte sie. Nimm! Ich weiss nur noch, dass ich die Schokolade nahm, und davonrannte. Und wie mir das Herz bis zum Hals schlug.
Ich habe später noch viele Male der Frau Stupanik die schweren Einkaufstaschen nach Hause getragen. Sie wartete, wenn ich von der Schule kam. Warzen hatte sie keine. Und ihr weisses Haar war seidenweich.
Evelyn Braun