Berichte aus der grossen weiten Welt
Seit zwölf Jahren engagiere ich mich beim Treuhanddienst von Pro Senectute beider Basel. Eines Tages sass ich wieder einmal neu an einem Bett in einem Alters- und Pflegeheim (APH) – da kam mir einige Skepsis des neuen Klienten entgegen… Ich spürte die Gedanken des Mannes und ich ahnte … nur mit viel Geduld könnte ich ein wenig Licht in dieses trostlose Zimmer bringen. Der Lebenslauf des Mannes war tragisch und seit Kindesbeines von gesundheitlichen Problemen geprägt. Was passiert mit Menschen, die kaum noch etwas sehen, die nur noch schwer hören, aber deren Kopf so super funktioniert, dass jedes einzelne Wort sich für immer und ewig einprägt?
Nach einigen Besuchen, die zum Pflichtenheft meines Mandates gehören, spürte ich eine gewisse Ruhe und Zufriedenheit meines Gegenübers. Es war offensichtlich, meine Besuche taten ihm gut. Er interessierte sich für Fussball, also informierte ich mich über Resultate. Er interessierte sich für Eishockey, also schaute ich mir Matches im Fernsehen an, auch wenn ich den Puck kaum sah, so rasant ist dieses Spiel. Aber ich konnte darüber berichten und erzählen.
Herr S. interessierte sich für alles, was auf dieser Welt passierte, und konnte manchmal doch nur den Kopf schütteln über das, was da draussen vor sich ging. Verständlich, wenn man jahrelang in seinem kleinen Zimmer Tag für Tag, Nacht für Nacht verbringen muss. Und doch konnte ich ihm «die grosse weite Welt» durch das Erzählen und Berichten ein klein wenig zurück bringen. Seine Dankbarkeit war gross und seine Freude, als er einmal ins Spital musste und ich ihn dort besuchte, war riesig. Eigentlich konnte ich viel zu wenig für ihn tun, aber für ihn war es unglaublich viel ….
Einmal spazierte ich mit ihm mit dem Rollstuhl im Garten des APH, damit er dort am Gartenzaun Brombeeren pflücken konnte. Seine Freude über diese eigentlich kleine Geste werde ich nie vergessen können. Einmal brachte ich meine kleine Enkelin mit, von da an fragte er immer: Wie geht es der kleinen M.? Ihren Namen hat er nie vergessen, wie alles, was ich ihm erzählte.
Ich erwischte mich, es ging mir so wie ihm selbst. Wenn ich mich nach meinem Besuch bei ihm verabschiedete, fiel mir das Weggehen nicht leicht, so wie ihm es nicht leicht fiel, mich wieder gehen zu lassen. Mir ist bewusst geworden, wie wenig es braucht, um ein zufriedenes, glückliches Leben zu führen. Ich verdanke dieses neue andere Denken Herrn S. und vielen anderen Menschen, die ich betreuen durfte.
Sylvia Dubiel